»Was fur Gegenma?nahmen haben Sie ergriffen?«, fragte die Au?enministerin.

»Wir haben …«, begann der Verteidigungsminister.

»Wir haben den Gro?raum New York gesperrt«, fuhr ihm Li dazwischen, die es nicht mochte, wenn jemand ihre Hausaufgaben hoch hielt. »Und eben horte ich, dass die Krabbenwarnungen vor Washington ernst zu nehmen sind. Das verdanken wir der Drohnenaufklarung. Wir werden auch Washington unter Quarantane stellen. Die Belegschaft des Wei?en Hauses sollte also dem Beispiel ihres Prasidenten folgen und einen anderen Ort aufsuchen fur die Dauer der Krise. Ich habe im Umkreis samtlicher Kustenstadte Einheiten mit Flammenwerfern postieren lassen. Wir denken au?erdem uber chemische Gegenmittel nach.«

»Was ist mit Tauchbooten, Tauchrobotern, und so weiter?«, wollte der CIA-Direktor wissen.

»Gar nichts. Seit kurzem verschwindet alles, was wir ins Meer entlassen, spurlos. Wir haben da unten keine Moglichkeit der Kontrolle. ROVs sind nur per Kabel mit der Au?enwelt verbunden, und die ziehen wir regelma?ig zerfetzt aus dem Wasser, nachdem die Kameras zuvor ein blaues Leuchten erfasst haben. Uber den Verbleib von AUVs lassen sich gar keine Aussagen treffen. Vier couragierte russische Wissenschaftler sind vergangene Woche mit den MIR-Tauchbooten runtergegangen, in eintausend Metern Tiefe von etwas gerammt worden und gesunken.«

»Das hei?t, wir uberlassen denen das Feld.«

»Im Augenblick versuchen wir, die wurmbefallenen Gebiete mit Schleppnetzen abzugrasen. Netze werden au?erdem vor Kusten gespannt, eine zusatzliche Ma?nahme, um Landinvasionen wie die auf Long Island abzuwehren.«

»Scheint mir ziemlich archaisch.«

»Wir werden auf archaische Weise angegriffen. Wir haben au?erdem begonnen, die Wale vor Vancouver Island mit Sonar in die Zange zu nehmen. Wir beschallen sie mit Surtass LFA. Etwas steuert die Tiere, also steuern wir gegen, bis ihnen vor lauter Krach der Schadel platzt.

Mal sehen, wer die Oberhand gewinnt.«

»Das klingt beschissen, Li.«

»Wenn Sie eine bessere Idee haben, ist sie willkommen.«

Einen Moment lang sagte niemand etwas.

»Hilft uns die Satellitenuberwachung?«, fragte der Prasident.

»Bedingt.« Der Deputy Director for Operations schuttelte den Kopf. »Die Army ist darauf vorbereitet, abgestellte Panzer unter einer Tarnung aus Zweigen ausfindig zu machen, aber es gibt nur wenige Systeme, die etwas von der Gro?e eines Krebses erfassen konnen. Gut, wir haben KH-12 und die neue Generation der Keyhole-Satelliten. Au?erdem Lacrosse, und die Europaer lassen uns bei Topex/Poseidon und SAR-Lupe mitspielen, aber die arbeiten mit Radar. Das Problem ist uberhaupt, dass wir solche Kleinigkeiten nur erkennen, wenn wir ranzoomen. Das hei?t, wir konzentrieren uns auf einen kleinen Ausschnitt. Solange wir nicht wissen, was wo aus dem Meer steigt, gucken wir im Zweifel in die verkehrte Richtung. Li hatte den Vorschlag gemacht, Drohnen einzusetzen, die uber den Kusten patrouillieren. Ich halte das fur einen guten Vorschlag, aber auch Drohnen sehen nicht alles. NRO und NSA tun ihr Bestes. Moglicherweise kommen wir weiter bei der Auswertung abgefangener Nachrichten. Wir ziehen alle Register von SIGINT.«

»Vielleicht ist das unser Problem«, sagte der Prasident gedehnt. »Vielleicht sollten wir es ein bisschen mehr mit HUMINT versuchen.«

Li verkniff sich ein Grinsen. HUMINT gehorte zu den Lieblingsbegriffen des Prasidenten. Im Sicherheitsjargon der USA stand SIGINT fur Signals Intelligence, was die Gesamtheit der fernmeldetechnischen Nachrichtenbeschaffung umfasste. HUMINT bezeichnete die Nachrichtenbeschaffung im Spionagegewerbe — Human Intelligence. Der Prasident, selber hemdsarmelig und technisch eher unbedarft, war vom Pioniergeist der Grundervater durchdrungen. Er liebte es, jemandem in die Augen schauen zu konnen. Obwohl er die technisch hochgerustetste Armee der Welt befehligte, konnte er mit dem Bild des Spahers, der sich im Unterholz anschleicht, mehr anfangen als mit Satelliten.

»Setzen Sie die Kopfe ein«, sagte er. »Einige verstecken sich allzu gerne hinter Schaltpulten und Computerprogrammen. Ich will, dass weniger programmiert und mehr gedacht wird.«

Der CIA-Direktor legte die Fingerspitzen aufeinander.

»Nun«, sagte er. »Vielleicht sollten wir der Nahost-Hypothese doch nicht so viel Bedeutung beimessen.«

Li sah Vanderbilt an. Der Stellvertretende CIA-Direktor blickte starr geradeaus.

»Bisschen zu weit vorgeprescht, Jack?«, sagte sie so leise, dass es niemand au?er Vanderbilt horen konnte.

»Ach, halten Sie doch den Mund.«

Sie beugte sich vor. »Wollen wir mal uber etwas Positives sprechen?«

Der Prasident lachelte.

»Alles, was positiv ist, kann uns nur recht sein, Jude.«

»Nun, es gibt immer eine Zeit danach. Am Ende kommt es darauf an, wer gewonnen hat. Auf jeden Fall wird die Welt anders aussehen, wenn das hier voruber ist. Bis dahin werden viele Lander destabilisiert sein, auch solche, deren Destabilisierung in unserem Interesse liegt. Dieser Effekt lie?e sich nutzen. Ich meine, die Welt ist in einer schrecklichen Lage, aber Krise ist ein anderes Wort fur Chance. Wenn die aktuelle Entwicklung den Zusammenbruch eines Regimes fordert, das uns nicht genehm ist, ware das nicht unsere Schuld, aber wir konnten hier und da nachhelfen und spater die richtigen Leute einsetzen.«

»Hm«, machte der Prasident.

Die Au?enministerin uberlegte einen Moment und sagte: »Die Frage ist demzufolge weniger, wer diesen Krieg fuhrt, sondern wer ihn gewinnt.«

»Ich meine, die zivilisierte Welt muss Schulter an Schulter gegen den unsichtbaren Feind kampfen«, bekraftigte Li. »Gemeinsam. Wenn es so weitergeht, werden die Bundnisse ohnehin verstarkt auf die UNO schauen. Das ist vorerst in Ordnung so, alles andere ware das falsche Signal. Wir sollten uns nicht aufdrangen, aber bereithalten. Zusammenarbeit anbieten. — Aber gewinnen sollten am Ende wir. Und verlieren sollten alle, die uns in der Vergangenheit bedroht haben und gegen uns waren. Je ma?geblicher wir den Ausgang der aktuellen Situation beeinflussen, desto klarer werden spater die Rollen verteilt sein.«

»Klarer Standpunkt, Jude«, sagte der Prasident.

Am Tisch war beifalliges Nicken zu sehen, vermischt mit leichter Verargerung. Li lehnte sich zuruck. Sie hatte genug gesagt. Mehr, als ihre Position zulie?, aber es hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Ein paar Leute, deren eigentliche Aufgabe es gewesen ware, diese Dinge zu sagen, hatte sie vor den Kopf gesto?en. Unwichtig. In Offutt war es angekommen.

»Gut«, sagte der Prasident. »Ich denke, dass wir zum gegenwartigen Zeitpunkt einen solchen Vorschlag in die Schublade packen konnen, aber die Schublade sollte ein Stuck offen stehen. Auf keinen Fall sollten wir in der Weltoffentlichkeit den Eindruck erwecken, man sei hier an einer Ubernahme der Fuhrung interessiert. — Wie kommen Ihre Wissenschaftler voran, Jude?«

»Ich denke, sie sind unser gro?tes Kapital.«

»Wann sehen wir Ergebnisse?«

»Morgen kommen alle wieder zusammen. Ich habe Major Peak angewiesen zuruckzukehren, damit er dabei sein kann. Er wird die Krisenlage in New York und Washington von hier aus steuern.«

»Du solltest eine Rede an die Nation halten«, sagte der Vizeprasident zum Prasidenten. »Es wird Zeit, dass du dich au?erst.«

»Ja, das ist wahr.« Der Prasident schlug auf den Tisch. »Das Kommunikationsteam soll die Schreiberlinge daransetzen. Ich will etwas Ehrliches. Kein Beschwichtigungsblabla, aber etwas, das Hoffnung macht.«

»Gehen wir auf etwaige Feinde ein?«

»Nein, das wird als Naturkatastrophe gehandelt. Wir sind noch nicht so weit, die Leute sind beunruhigt genug. Wir mussen ihnen versichern, dass wir alles Menschenmogliche tun werden, um sie zu schutzen. — Und dass wir es auch konnen. Dass wir die Mittel und Moglichkeiten haben. — Dass wir auf alles vorbereitet sind. Amerika ist nicht nur das freieste Land der Welt, sondern auch das sicherste, egal was aus dem Meer steigt, das sollen sie wissen. Egal, was passiert. — Und ich empfehle Ihnen allen noch etwas. Beten Sie. Beten Sie zu Gott. Dies ist sein Land, und er wird uns beistehen. Er wird uns die Kraft geben, das alles in unserem Sinne zu regeln.«