»Ach ja?«

»Ja.«

»Also die haben Ihnen auch merkwurdige Fragen gestellt?«

»Genau.«

»Sie enttauschen mich, Dr. Johanson.« Stone verzog spottisch die Mundwinkel. »Ich dachte, Sie seien Wissenschaftler. Seit wann geben Sie sich mit Ihrem Bauch zufrieden?«

»Cliff«, sagte Lund, ohne Stone anzusehen. »Du haltst am besten einfach mal die Schnauze.«

Stone riss die Augen auf und schaute Lund emport an.

»Ich bin dein Boss«, bellte er. »Wenn hier einer die Schnauze halt …«

»Schluss!« Skaugen hob die Hande. »Ich will kein Wort mehr horen.«

Johanson musterte Lund, die ihre Wut nur muhsam unterdruckte. Er fragte sich, was Stone ihr getan hatte. Seine notorische Missgestimmtheit konnte nicht der einzige Grund fur ihren Arger sein.

»Wie auch immer, ich denke, Japan und Sudamerika halten Informationen zuruck«, sagte er. »Ebenso wie wir. Nun ist es erheblich einfacher, verlassliche Daten uber Meerwasseranalysen zu bekommen als uber Tiefseewurmer. Allerorten wird aus irgendwelchen Grunden Wasser analysiert. Zu diesem Thema konnte ich also weitere Quellen anzapfen. Und die haben’s bestatigt.«

»Was?«

»Ungewohnlich hohe Methankonzentrationen in der Wassersaule. Es wurde passen.« Johanson zogerte. »Was die Japaner betrifft — entschuldigen Sie die haufigen Zuwortmeldungen meines Bauches, Dr. Stone —, hatte ich ubrigens noch so ein Gefuhl. Mir schien, als wollten mich Matsumotos Leute die Wahrheit wissen lassen. Sie haben sich zur Zuruckhaltung verpflichtet. Aber wenn Sie meine ehrliche Meinung horen wollen: Kein freier Forscher, kein Institut, kame auf die Idee, mit Informationen zu taktieren, die fur viele Menschen uberlebenswichtig sein konnten. Es gibt keinen vertretbaren Grund, so etwas zuruckzuhalten.

Dazu kommt es nur, wenn …«

Er breitete die Hande aus und lie? den Satz unvollendet.

Skaugen sah ihn unter zusammengezogenen Brauen an.

»Wenn wirtschaftliche Interessen auf dem Spiel stehen«, erganzte er. »Das wollten Sie doch sagen.«

»Ja. Das wollte ich sagen.«

»Gibt es noch etwas, das Sie Ihrem Bericht hinzufugen mochten?«

Johanson nickte und zog einen Ausdruck aus seiner Kladde. »Ungewohnlich hohe Methanaustritte verzeichnen wir offenbar nur in drei Regionen der Welt. In Norwegen, Japan und im lateinamerikanischen Osten. Dann gibt es aber auch noch Lukas Bauer.«

»Bauer? Wer ist das?«, fragte Skaugen.

»Er untersucht Meeresstromungen vor Gronland. Er lasst Drifter mit der Stromung treiben und zeichnet die Daten auf. Ich habe ihm eine Nachricht auf sein Schiff geschickt. Das hat er geantwortet.« Johanson las vor: »Lieber Kollege, Ihr Wurm ist mir unbekannt. Aber tatsachlich messen wir vor Gronland exzeptionelle Methanaussto?e an unterschiedlichen Stellen. Hohe Konzentrationen gelangen ins Meer. Moglicherweise besteht ein Zusammenwirken mit Diskontinuitaten, die wir hier beobachten. Bose Sache, sollten wir Recht behalten. Sehen Sie mir die mangelnde Detaillierung nach, ich bin au?erordentlich beschaftigt. Anbei eine Datei mit einem ausfuhrlichen Bericht von Karen Weaver. Sie ist Journalistin und geht mir hier zur Hand und auf die Nerven. Tuchtiges Madchen. Bei Ruckfragen hilft sie Ihnen gerne weiter. Nehmen Sie Kontakt auf uber [email protected]

»Was fur Diskontinuitaten meint er denn?«, fragte Lund.

»Keine Ahnung. Ich hatte seinerzeit in Oslo den Eindruck, dass Bauer etwas zerstreut ist. Liebenswurdig, aber die Hochpotenz unseres Berufsstandes. Die versprochene Datei hat er folgerichtig vergessen hinzuzufugen. Ich habe zuruckgemailt, bis jetzt aber noch keine Antwort erhalten.«

»Wir sollten vielleicht herausfinden, woran Bauer arbeitet«, sagte Lund. »Bohrmann musste das wissen, oder?«

»Ich schatze, die Journalistin wei? es«, sagte Johanson.

»Karen …?«

»Karen Weaver. Der Name kam mir bekannt vor, aus gutem Grund. Ich hatte schon einiges von ihr gelesen. Interessante Vita, Studium der Informatik, Biologie und Sport. Ihr Schwerpunkt sind marine Themen, ihr Interesse gilt den gro?en Zusammenhangen. Vermessung der Meere, Plattentektonik, Klimawandel … zuletzt hat sie uber Meeresstromungen geschrieben. — Was Bohrmann betrifft, den rufe ich sowieso an, wenn er sich bis Ende der Woche nicht gemeldet hat.«

»Und wohin fuhrt uns das alles?«, fragte Hvistendahl in die Runde.

Skaugens blaue Augen hefteten sich auf Johanson. »Sie haben ja gehort, was Dr. Johanson gesagt hat. Die Industrie macht sich der Lumperei schuldig, weil sie Informationen fur sich behalt, die uber Wohl und Wehe der Menschheit entscheiden konnten. Dem ist diskussionslos beizupflichten. Gestern Nachmittag hatte ich also ein ma?gebliches Gesprach mit unserer obersten Heeresleitung, in dessen Verlauf ich eine klare Empfehlung aussprach. Statoil hat sofort im Anschluss daran die norwegische Regierung informiert.«

Stones Kopf ruckte hoch. »Was? Woruber denn, wir haben doch noch gar kein definitives Ergebnis vorliegen und kein …«

»Uber die Wurmer, Clifford. Uber die Zersetzung der Methanvorkommen. Uber die Gefahr eines Methan-GAUs. Uber die Moglichkeit einer unterseeischen Rutschung. Stell dir vor, sogar die Begegnung des Tauchroboters mit nichtidentifizierbaren Lebewesen wurde einer Erwahnung fur wert befunden. Fur meinen Geschmack sind das Ergebnisse genug.« Skaugen blickte finster in die Runde. »Es wird Dr. Johanson freuen zu horen, dass sein Bauch ein sicherer Indikator fur die Wirklichkeit ist. Heute Morgen hatte ich das Vergnugen, eine Stunde mit dem Technischen Vorstand der JNOC zu telefonieren. Naturlich ist die JNOC uber jeden Zweifel erhaben. Nehmen wir darum nur mal hypothetisch an, Japan sei derma?en wild auf eine Vormachtstellung in der Methanforderung, dass sie alles daransetzen, es als Erste zu schaffen. Geben wir zweitens der weltfremden Vorstellung Raum, sie wurden dafur gewisse Risiken in Kauf nehmen und fachlicherseits geau?erte Bedenken unter den Tisch kehren.« Skaugens Blick wanderte zu Stone. »Attestieren wir zudem den unwahrscheinlichen und geradezu absurden Fall, dass es tatsachlich Menschen gibt, die aus purem Ehrgeiz Gutachten verschweigen und Warnungen ignorieren. Trafe all das zu, wie schrecklich! Dann mussten wir der JNOC unterstellen, in skandaloser Weise Stillschweigen uber einen Wurm gewahrt zu haben, der ihren Traum von der Methannation Nummer eins uber Nacht platzen lassen konnte. Dann hatten sie wochenlang geschwiegen.«

Niemand sagte etwas. Skaugen bleckte die Zahne. »Aber wir wollen nicht so streng sein. Wie hatte es schlie?lich ausgesehen, wenn Neil Armstrong in der Kapsel geblieben ware blo? wegen eines bloden Wurms? Und wie gesagt, das sind ohnehin nur Unterstellungen. So hat mir die JNOC glaubhaft versichert, dass man in der Tat ahnliche Tiere aus der japanischen See gezogen habe, aber entdeckt hat man sie sage und schreibe erst vor drei Tagen. Ist das nicht allerhand?«

»So eine Schei?e«, sagte Hvistendahl leise.

»Und was gedenkt die JNOC zu unternehmen?«, fragte Lund.

»Oh, ich schatze, sie werden ihre Regierung informieren. Sie sind ja staatlich, genau wie wir. Nachdem sie jetzt wissen, was wir alles wissen, konnen sie es sich kaum leisten, damit hinterm Berg zu halten. Was — pardon! — naturlich niemand will, weder hier noch da. Und ich bin sicher, wurde man heute die Sudamerikaner auf das namliche Thema ansprechen, konnte es glatt geschehen, dass denen morgen auch so ein Wurm ins Netz geht. Was werden die staunen! Sie werden sofort anrufen Und es uns mitteilen. — Und damit niemand auf die Idee kommt, ich wurde hier nur die anderen anpinkeln: Wir sind nicht besser.«

»Na ja«, sagte Hvistendahl.

»Anderer Meinung?«

»Wie kritisch die Situation ist, wissen wir erst seit kurzem.« Hvistendahl wirkte verargert. »Au?erdem habe ich selber empfohlen, die Regierung zu verstandigen.«

»Dir mache ich auch gar keinen Vorwurf«, sagte Skaugen gedehnt.